Eine Gnadenzeit beginnt...
„Es ist wie mit einem Mann, der sein Haus verließ, um auf Reisen zu gehen“
Wenn wir ans Reisen denken, denken wir an die Ferien und die haben wir schon lange hinter uns. Mit unseren Erinnerungen können wir zu ihnen zurück, durch das Betrachten von Fotos und Souvenirs oder wir warten sehnsüchtig auf die nächsten Ferien und schmieden Pläne für weitere Reisen. Erinnerung und Erwartung. Vergangenheit und Zukunft. Zwei Dimensionen, die viel mehr ausdrücken als nur die Zeit des Ausruhens in den Ferien. In unserer Vergangenheit und in unserer Zukunft, hat Gott in unserem Leben gehandelt und wird es weiter tun. Und die Gegenwart? Kann es auch ein Raum für Gottes Handeln in der Welt und in meinem Leben sein?
Im heutigen Evangelium begegnet uns Jesus in Gestalt des Hausherrn, der sein Eigentum verlässt und „auf eine Reise geht“.
Wenn ich an dieses Bild denke, scheint es mir oft so, als sei Gott „weggehfahren“. Er hat mich verlassen, denken wir oft, er ist aus meinem Leben verschwunden. Wenn er bei mir gewesen wäre, wäre mir ein solches Unglück nicht passiert, ich hätte nicht an einer Krankheit gelitten, ich wäre nicht in die Falle des Alkoholismus geraten. Wenn Gott bei mir gewesen wäre, hätte ich mein Leben besser geführt, einen besseren Partner gewählt und keine Probleme mit meinen Kindern gehabt. Wenn Gott mit mir wäre, wäre ich nicht ganz allein, verlassen und vergessen von meinen Liebsten.
Es scheint so als hätte Gott nicht nur mein Leben verlassen, aber auch die Welt. Wie sonst sind Hunger, Kriege, Konzentrationslager und das Leiden der Unschuldigen zu erklären? Es war einmal, ja, Gott war in dieser Welt gegenwärtig. Er schuf sie, er sandte seinen Sohn Jesus, er wirkte mit Macht in der Urkirche. Glaube ich daran? Ich bin doch ein Christ. Auch in meinem Leben war Gott gegenwärtig - ich wurde getauft, ich war bei der Erstkommunion, ich wurde gefirmt…
Die gute Botschaft des heutigen Evangeliums ist: Gott wird von dieser Reise zurückkehren. So wie der Hausherr. Er sagt heute im Evangelium: „Bleib wach ... denn du weißt nicht, wann der Hausherr kommt.“ Ich glaube, dass er in mein Leben und in die Geschichte der Welt eingreifen wird, aber erst am Ende der Zeit wird alles offenbart. Was hilft mir heute, wenn Gott immer unterwegs ist?
Der Advent, ist eine gute Gelegenheit, unser Leben anzuschauen und Gott zu suchen. Obwohl er auf der Bühne meines Lebens abwesend zu sein scheint, hat er sie nie wirklich verlassen.
Mit dem ersten Advent beginnt in der katholischen Kirche das neue liturgische Jahr, das uns auf die Feier der Geburt Jesu Christi vorbereiten soll. Betrachten wir diese Zeit des Advents als ein Geschenk, besonders in der Zeit der Pandemie, als eine Chance dem menschgewordenen Gott zu begegnen.
Jesus kam in die Welt, wurde Mensch und veränderte den Lauf der Geschichte grundlegend. Sein Kommen in die Welt bedeutete, dass Gott überall zu finden ist, dass er jedem Geschöpf nahe ist, dass er uns nahe ist. Näher als wir denken.
Der Mann aus dem heutigen Evangelium, der auf eine Reise ging, überließ sein Eigentum nicht dem Schicksal. Ja, er verließ das Haus, aber „Er übertrug die Vollmacht seinen Knechten, jedem eine bestimmte Aufgabe; dem Türhüter befahl er, wachsam zu sein.“ Er selbst ist nicht mehr da - er verreist. Jetzt kümmert sich jedoch jemand anderes um sein Erbe. Dieses unvollkommene Bild ermöglicht es uns, unser Leben in einem völlig anderem Licht zu sehen. Gott hat die Welt nicht verlassen, sondern lässt den Menschen mit freiem Willen handeln. Er schenkt ihm Freiheit. Es ist diese Freiheit, die Gott dazu bringt, demütig und leise in der Welt präsent zu sein, ohne Lichter und Schreie, Er ist anwesend wo die Menschen anderen Liebe schenken, er ist anwesend in der Stille.
Der Ruf Jesu, heute zu Wachen, ist nichts Abstraktes. Es ist ein Anruf, der an dich geht und eine Antwort von dir fordert. Sei wachsam, das heißt sei achtsam und suche Gott in deinem Leben, in deiner Lebensgeschichte, in anderen Menschen. Sehr oft vergessen wir ihn: wir distanzieren uns von ihm und suchen nach unseren eigenen Wegen.
Wie kann ich Gott heute in meinem Leben erleben? Wie komme ich ihm nahe? Durch gute Taten? Der Prophet Jesaja sagt heute: „Wie ein Unreiner sind wir alle geworden, unsere ganze Gerechtigkeit ist wie ein beflecktes Kleid“. So führt der Weg also nicht zu Gott. Er schlägt dir heute einen Perspektivenwechsel vor. Nicht du kommst näher zu Gott, sondern er kommt näher zu dir. Gott ist so groß, dass unsere menschliche Freiheit nicht eingeschränkt werden darf. Er respektiert sie so sehr, dass er sich jedem von uns nähert und gleichzeitig fragt, ob wir ihn hereinlassen werden. Die Entscheidung liegt bei jedem von uns.
Gott ist auch heute gegenwärtig, Jesus lebt. Er möchte uns nahe sein, in unseren Problemen und alltäglichen Angelegenheiten. Er möchte, dass wir unsere Schwierigkeiten und unsere Freuden mit ihm teilen, dass wir Ihm unser ganzes Leben anvertrauen. Er wartet jedoch auf unsere Initiative. Und wenn du es willst, wiederhole in deinem Herzen was der Prophet Jesaja sagte: „Hättest du doch den Himmel zerrissen und wärest herabgestiegen,“ Jesus! Reiß den Himmel auseinander und komm in mein Leben!
Miroslawa Bardakji