Auf dem Weg nach Emmaus
Jedes Jahr, am Ostermontag, machen wir uns auf den Weg. Wir begleiten die beiden Jünger, die dorthin zurückkehren, von wo sie einmal voller Freude, voller Begeisterung, voller Zuversicht aufgebrochen waren, um dem zu folgen, der Leben verheißen hat. Nun gehen sie weg aus Jerusalem, weg von dem Erlebten, weg von der Traurigkeit über den Tod dessen, von dem die Erlösung erwartet wurde. Freilich, die Nachricht vom leeren Grab haben sie erhalten; zu schmerzhaft war es mitanzusehen, wie Jesus offenbar scheiterte, um zu glauben, dass das leere Grab Zeichen für die Erfüllung der Verheißung Jesu ist.
Die Jünger zeigen eine ganz menschliche Reaktion auf das Erlebte. Viele werden den Wunsch nachvollziehen können, sich nach schwierigen Erlebnissen zurückziehen zu wollen, sich an gewohnte Orte zu begeben, weil diese Sicherheit und auch Trost bedeuten. Die Jünger machen sich also auf den Weg, um die Enttäuschung über Jesu Tod zu verarbeiten und erfüllen dabei unbewusst ihre Berufung: das auf dem Weg sein, das hin Gehen und von Jesus zu erzählen. Sie sprechen über das, was sie erlebt haben, sie behalten es nicht für sich, auch wenn sie noch ein ganzes Stück gehen müssen, bis sich ihnen selbst die Bedeutung des Erlebten erschließt. Unbemerkt erfüllt sich das Wort Jesu „Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, bin ich mitten unter ihnen“, im Gehen der Jünger.
Diese Szene passt so gut in das Spektrum menschlichen Erlebens und Wahrnehmens. In meinem Leben gab es schon öfter Situationen, in denen ich viel zu verarbeiten, auszuhalten und zu verkraften hatte. Ich kenne das Gefühl, an der Zusage Jesu, dass er mit mir ist, zu zweifeln, wenn ich in den Grundfesten meiner Selbst erschüttert bin, wenn ich nicht weiß, wie es weitergehen soll. Schon öfter kam mir da der Gedanke: vielleicht kann ich ihn nur nicht wahrnehmen. Aus dem Gedanken keimte – wie bei den Jüngern – eine gewisse Hoffnung: hoffentlich kann ich ihn nur nicht wahrnehmen…und er ist doch da.
In einer solchen Situation sehe ich die beiden Emmausjünger. Jesus ist gegenwärtig, er geht mit und wie es sich auch in unserem Leben des Öfteren ergibt, wird Jesus nicht richtig wahrgenommen. Die Augen der Jünger sind „gehalten“ heißt es im Evangelium. Sie sind noch nicht fähig wirklich zu sehen, was hinter dem Leiden, dem Kreuz und dem Tod Jesu steckt, weil der Schmerz über das Erlebte, über das Mitanschauen, was Jesus, ihrer Hoffnung auf Erlösung, angetan wurde.
Im Hören auf Gottes Wort, das ihnen Jesus auslegt, beginnt in den beiden eine gewisse Hoffnung zu keimen, dass sich die Worte Jesu möglicherweise doch erfüllt haben; auf andere, unerwartete Weise. Das gemeinsame Mahl bekräftigt diese Hoffnung, dass Jesus auferstanden ist und wird schließlich zur Gewissheit.
Die Trauer der Jünger sorgt dafür, dass sie Abstand suchen – äußerlich oder räumlich von der Stadt, in der ihre Hoffnungen begraben wurden und innerlich von dem, was sie täglich daran erinnert, dass Jesus gestorben ist.
Sie gehen weg und Jesus begegnet ihnen neu und unerwartet. Er schafft in ihnen, vorerst ohne erkannt zu werden, einen Perspektivenwechsel, indem er ihnen den Sinn der Schrift erschloss, indem er ihnen erklärte, was er ihnen bereits verkündet hatte. Aus dem Abstand wird spätestens beim gemeinsamen Mahl eine ungeahnte Nähe – Jesus ist da!
In dieser Gewissheit kehren die Jünger um; wirklich äußerlich und innerlich. Sie gehen den Weg, den sie tagsüber zurückgelegt hatten in der Nacht wieder zurück. Aber sie kehren nicht als dieselben dorthin zurück. Ein neues Verständnis von Gottes Wort haben sie im Gepäck und die Gewissheit, dass Jesu Worte den Widrigkeiten des Lebens standhalten. Auf unerwartete, oft unbemerkte Art und Weise.