Gott wird Mensch
Jedes Mal, wenn ich die Botschaft von der Menschwerdung Gottes bewusst betrachte, erfasst mich ein ehrfürchtiges Staunen und eine große Dankbarkeit. Und dennoch ertappe ich mich nicht selten dabei, dass sie mir allzu leicht über die Lippen kommt.
Was wir an Weihnachten feiern, ist nicht romantisch, nicht lieblich oder gar niedlich, wie mancher 'weihnachtlicher' Schmuck oder gewisse Lieder es nahelegen. Im Gegenteil: Weihnachten ist nach irdischen Maßstäben gemessen völlig verrückt. Besser gesagt, der Gott, wie ihn uns Weihnachten zeigt, ist im sprichwörtlichen Sinne ver-rückt.
Wenn jemand verliebt ist, sagt man, er oder sie ist verrückt nach jemandem. Sein oder ihr Herz, Denken und Fühlen spielen bisweilen verrückt, weil zum geliebten Menschen hingerückt. Folglich ist der oder die Verliebte auch außer sich. Das Gott selbst Mensch wird, ist ein sichtbarer Ausdruck dafür, dass Gott ver-rückt ist, zu den Menschen gerückt, quasi außer sich, um beim Menschen zu sein. Ein theologischer Begriff dafür heißt "Entäußerung". Der Apostel Paulus schreibt im Philipperbrief über Jesus, dass er Gott gleich war, aber nicht daran festhielt wie Gott zu sein. Ja, "er entäußerte sich und wurde … den Menschen gleich." (Phil 2,6f)
Gott ist ver-rückt nach uns Menschen, weil er sich in uns Menschen verliebt hat. Er hat sich ver-rückt vom Himmel zur Erde; vom Gottsein zum Menschsein. Dieses nach den Menschen Ver-rückt-Sein hatte schwerwiegende Konsequenzen für Gott und für uns Menschen, wobei dabei Gott sozusagen den Kürzeren zog:
Der ewige Gott geht ein in die Dimension der Zeit und wird selbst in Jesus ein sterblicher Mensch. Seien wir ehrlich: Wer von uns hätte so einen Schritt von sich aus freiwillig gemacht? Gott hat diesen Schritt getan und hat uns sterblichen Menschen damit den Zugang zum Leben in Ewigkeit geschenkt.
Der allmächtige Gott wird in Jesus zunächst ein ohnmächtiges Kind, das in allem vom Menschen abhängig ist und geht sogar so weit, dass er den Menschen über ihn Macht ausüben lässt und folglich ohnmächtig am Kreuz stirbt. Durch die Auferstehung Jesu aber lässt er uns teilhaben an der Wirkmacht Gottes, die jede menschliche Schwäche letztlich überwindet.
Ist doch verrückt, oder?!
Und warum ist Gott Mensch geworden und hat uns nicht – quasi von oben herab – mit einem "Fingerschnippen" erlöst. Letztlich gibt es wohl nur eine Antwort: Eben deshalb, weil Gott aus Liebe verrückt nach uns Menschen ist. Weil Gott die Menschen liebt und daher den Menschen dort nahe sein will, wo er ist.
Weihnachten heißt: Gott wird Mensch, damit der Mensch vergöttlicht wird. Diese Botschaft von Weihnachten kann uns wahrhaft mit Freude überfüllen und uns staunend den menschgewordenen Gottessohn Jesus anbeten lassen.
Stefan Ulz
Pfarrer im SSR Graz Südost