Gemeinsam gesendet sein
1. Selbstbestimmung ist ein Wert, der in unseren Tagen und in unserer Gesellschaft großgeschrieben wird, auch wenn zu sagen ist, dass er unterschiedlich interpretiert wird. Wenn wir uns als Christen versammeln, wird uns eine Deutung nahe- und ans Herz gelegt, die aufs Erste modernen Interpretationen zu widersprechen scheint. Jede und jeder von uns, so wertvoll und einmalig er bzw. sie sich auch verstehen muss, ist Teil eines größeren Ganzen. Oder eben - wie es uns in der Lesung heute verkündet wurde: "Glied am Leib". Mit anderen Worten: wir alle - mit unseren je unterschiedlichen Begabungen gehören zusammen - und nur "im Ganzen" sozusagen sind wir "Kirche". Und darüber möchte ich mit und vor Ihnen allen heute ein wenig nachdenken.
2. Nicht bei sich selbst und dem je eigenen Ich, den Begabungen und dem eigenen Vermögen stehen bleiben heißt: sich in den Dienst begeben, ein Stück wohl auch, sich ins Ganze gleichsam "hinein zu verlieren". Oft und oft beklagen wir Christen ohnedies eine zunehmende Individualisierung in dieser Welt. Diese darf auch nicht verwundern, weil es eigentlich nur naheliegt, das Heil bei sich selbst zu suchen, wenn alles sich immer schneller um einen herumdreht und immer komplexer wird. Bei solchen Beurteilungen wird zu leicht darauf vergessen, dass wir selbst - weil wir Menschen mitten in dieser Welt sind - von einem solchen Lebensstil infiziert sind - und das geht bis hinein in unsere kirchlichen Lebensvollzüge.
Wenn wir vom Leben der Menschen ausgehen, dann bedeutet dies eben: wir leben vor, dass uns erst im Miteinander und im Zueinander, im Ernstnehmen all der Gaben, die uns als Gemeinschaft der Kirche - und damit jenseits unseres eigenen Kirchturms hinaus - geschenkt sind, Leben erwächst. Auch im menschlichen Alltag ist dem so: wenn ich nur bei mir verharre, bin ich letztlich nicht fruchtbar. Um neues Leben hervorzubringen, braucht es das Zugehen auf andere, braucht es das, was im Evangelium eben heißt, den Nächsten zu lieben wie sich selbst. Gerade in eher städtischen Regionen gilt es, dies verstärkt in Erinnerung zu rufen: nicht Abgrenzung, sondern Liebe, macht uns aus! - Natürlich kann ich jammern und wehklagen, dass uns diese Erkenntnis wohl nur deswegen kommt, weil es weniger geweihte Amtsträger gibt, andererseits: Seien wir doch glücklich darüber, dass uns Wege gewiesen werden authentisch unseren Weg der Nachfolge zu leben, indem wir uns auf als Pfarren und andere Lebensräume von Kirche aufeinander einlassen und uns nicht in uns selbst verschließen.
3. Miteinander unterwegs zu sein und daher auch sich gemeinsam in diese Welt gesendet zu wissen wird auch in unserem Zukunftsbild ausgefaltet: denn ich selbst muss mir nicht einbilden, schon vollkommen zu sein. Ich kann und darf mir sagen: "Wir alle sind unterwegs auf der Suche nach Gott!" Das gilt für den persönlichen Glauben genauso wie für das Leben (in) einer Pfarre, für das Zeugnis unseres Christseins, dort wo wir arbeiten, genauso wie für uns zu Hause: unsere Sendung hinein in diese Gegend von Graz bedeutet eben nicht, von sich zu sagen, dass wir alles besser wissen oder gar zu meinen, wir seien der Nabel der Welt. Unser Zeugnis, das auch von der Welt gefragt, ist die demütige Erkenntnis, dass wir uns zusagen, nicht auf alles und jedes die letztgültige Antwort zu haben, sondern eben Schritt für Schritt, mit unseren Möglichkeiten und mit den Charismen, die uns zum Gelingen des Ganzen geschenkt sind, voranzukommen auf dem Weg der Nachfolge. Denn unser aller erste Berufung ist nicht die Selbstbehauptung, sondern die Heiligkeit, die dort erwächst, wo wir lieben.
4. Miteinander unterwegs zu sein bedeutet daher auch, einander zu Nächsten zu werden, weil uns in unseren Geschwistern Er selbst entgegentritt. Da und weil wir "Gottes Melodie in uns aufnehmen" machen wir immer wieder die Entdeckung, dass Gott uns im Heute entgegenkommt. Und dieses Heute ist ein anderes als es sich uns vor einigen Jahrzehnten und erst recht vor Jahrhunderten dargeboten hat. Die Gefahr jeder Institution und demnach auch der Kirche ist es, im Blick auf eine vielleicht sogar reiche Geschichte zu verharren und damit nicht nach vor orientiert zu sein, auf Gott zu, sondern dort zu verweilen, wo das Vergangene uns festzuhalten droht. Wenn ich dies so formuliere, dann bedeutet dies keineswegs, dass das, was war, nicht gut gewesen ist. Aber wir sind gerufen, im Heute zu leben - und hier macht unser Zukunftsbild ganz im Einklang mit dem Evangelium deutlich, dass uns Gott selbst eben das Evangelium neu erschließt, wenn die Armen und Bedrängten jedweder Art uns begegnen.
5- Ich habe am Beginn dieser neuen Etappe im Kirchesein des Südostens von Graz daher nur die eine Bitte: Werden Sie nicht müde, dieses stetige "darüber hinaus" zu leben, sich als Glieder an dem einen Leib zu verstehen, sich eben mit dem, was jede und jeden auszeichnet, einzubringen und damit sich eben um Jesu willen, ganz zu ver-lassen, um wirklich zu glauben und nicht bloß Nachlassverwalter einer Epoche zu sein, in der das Christentum weithin sichtbar und bedeutsam gewesen ist.
Ich weiß: auf diesem Weg kann so manches geschehen - die Geschichte der Kirche und des Lebens von Christen auch in dieser Gegend kann so einiges an Erweisen hierfür erbringen - und gerade deswegen ergeht die Einladung: "Gehen wir im Südosten von Graz gemeinsam, mit einigen, die eine besondere Verantwortung haben für das Leben von Kirche hier, voran und bringen wir uns mit unseren Gaben zum Gelingen des Ganzen ein! Auf dass Sein Reich wachse!"